Nach dem Gipfel ist vor der Krise
Nun ist es also gelungen. Auf dem Gipfel in Brüssel wurden alle Probleme der Eurozone einvernehmlich gelöst und somit aus der Welt geschafft. Angela Merkel und Nicolas Sarkozy haben die Banken Mores gelehrt, Griechenland ist auf dem besten Wege einen Haushaltsüberschuss zu erwirtschaften, Italien wird innerhalb kürzester Zeit seine Sparziele erreichen und der Rettungsschirm wurde soweit „gehebelt“, dass die Märkte in Ehrfurcht erstarren und in Zukunft die Defizite der Eurozonenmitglieder zu Zinsen finanzieren, welche von der politischen Klasse als „tragbar“ angesehen werden. Eigentlich sollte man sofort zum Champagnerglas greifen, um diesen historischen Augenblick angemessen zu feiern oder besser noch einen Euro-Nationalfeiertag ins Leben rufen. Fast hätte ich noch vergessen zu erwähnen, dass nicht nur die Politiker voll des Lobes für ihre Erfolge sind, sondern auch die Märkte dies goutieren und sowohl die Aktienmärkte wie auch die Kurse für die unter Druck geratenen Staatsanleihen nur noch eine Richtung zu kennen scheinen: Nach oben.
Man könnte es nun dabei belassen, eine kleine positive Kolumne über die Politik im allgemeinen und unsere hervorragende Regierung im Besonderen zu verfassen und den Weitblick unserer Parlamentarier, von denen die meisten wohl überhaupt nicht verstanden haben, was gerade vorgefallen ist, zu loben. Aber damit würde ich meiner Aufgabe als kritischer Beobachter des politischen Geschehens, andere nennen dies Spielverderber, nicht einmal annähernd nachkommen. Das kalte Licht des Morgens, der einer durchzechten Champagnernacht folgt, beleuchtet hin und wieder Tatsachen, welche einem in der vorherigen Nacht entweder nicht bewusst waren oder unüberlegt verdrängt wurden.
Der Schuldenschnitt
Fangen wir mal bei diesem wunderbaren Schuldenschnitt an, der vor gar nicht allzu langer Zeit von den meisten Politikern ins Reich der Fabeln verwiesen wurde. Noch im Frühjahr 2010 hatte Griechenland nach Meinung der meisten Politiker noch gar kein Schuldenproblem und nur eine Zusammenrottung besonders niederträchtiger Individuen, der sogenannten Spekulanten, war an einer temporären Liquiditätskrise des ansonsten grundsolide finanzierten Landes Schuld. Schon damals warnten einige Stimmen davor, dass die griechische Situation weniger mit der Bösartigkeit einiger Spekulanten sondern vielmehr mit der mangelnden Wettbewerbsfähigkeit der dortigen Volkswirtschaft zu tun habe. Trotzdem wurde ein milliardenschweres Rettungspaket geschnürt und in den Orkus hinabgeworfen um Zeit zu kaufen. Diese Zeit wurde dann auch sehr sinnvoll genützt, indem die EZB damit anfing, Staatsanleihen Griechenlands und anderer Länder auf dem Sekundärmarkt einzukaufen. Was hier so technisch klingt, kann relativ einfach erklärt werden. Banken, welche bisher Staatsanleihen von Ländern wie Griechenland gehalten und von deren höheren Zinsniveau profitiert hatten, konnten nunmehr ihre Papiere an die EZB verkaufen und sich der damit verbundenen Risiken entledigen. Verluste wurden somit sozialisiert. Im gesamten vergangenen Jahr ging es somit nicht um die Frage, ob es Verluste geben könnte, sondern nur darum, wer diese letztendlich trägt. Es wäre außerordentlich interessant zu erfahren, wer die Verkäufer der jeweiligen Anleihen waren und aus welchen Ländern sie stammten. Gerüchte zu Folgen waren besonders französischen Banken sehr gut darin, ihren Aktionären oder ihrem Staat etwaige größere zukünftige Verluste zu ersparen, indem wacklige Staatspapiere an die EZB verkauft wurden, für deren Finanzierung der französische Staat nur mit ca. 27% aufkommen muss. Die Frage nach dem cui bono darf daher durchaus einmal gestellt werden und auch das Auswahlverfahren nach welchem die EZB die Verkäufer und die Anleihen ausgewählt hat sollte durchleuchtet werden.
Griechenland
Am ursprünglichen Problem, der mangelnden griechischen Wettbewerbsfähigkeit hat der Gipfel in Brüssel natürlich überhaupt nicht geändert. Weiterhin ist das Land nicht in der Lage seine Ausgaben zu finanzieren und es ist abzusehen, dass die kommunizierten Ziele wiederum nicht erreicht werden. Die Frage, ob man Griechenland zukünftig als Transferempfänger in der Eurozone belässt oder nicht ist nicht abschließend geklärt. Es ist auch fraglich, wie lange es Griechenland, die Wiege der Demokratie, ertragen wird, dass seine Regierung und sein Parlament nur noch Exekutivorgane Brüssels sind.
Der EFSF
Nun aber weg vom „Sonderfall“ Griechenland hin zu den anderen Problemfeldern. Der EFSF wurde ja deshalb gegründet und danach aufgeblasen, um den Märkten zu zeigen, wo der Hammer hängt. Staaten, denen die notwendige Finanzierung seitens der bösen Märkte zu „vernünftigen Zinsen“ verweigert wir können diese nun einfacher und billiger durch den EFSF erhalten. Leider krankt auch dieses Konstrukt daran, dass die Situation in welcher der EFSF funktionieren könnte nichts mit der Realität zu tun hat. Der EFSF soll beim Kauf einer Staatsanleihe einen Teil des Ausfallrisikos versichern, damit die Zinsen dieser so versicherten Anleihe sinken. Damit ist aber noch nichts über das absolute Zinsniveau gesagt. Nehmen wir einmal an, der italienische Staat würde so weiterwirtschaften wie bisher und eine Senkung der Staatsverschuldung wäre nicht absehbar. Das Zinsniveau der unversicherten italienischen Staatsanleihen würde daraufhin natürlich weiter steigen. Etwas unter diesem Zinsniveau würde dann das Zinsniveau der versicherten Anlage liegen, aber auch dieses würde absolut gesehen steigen. Es kann also durchaus der Punkt kommen, an dem auch die versicherte Anleihe für das Land zu teuer wird. Und was dann? Der einzige Ausweg wäre, wenn das Land von der EZB mit Hilfe der Notenpresse weiterfinanziert werden würde. Nicht nur für Deutschland eine schwer vorstellbare Option.
Bei jeder noch so ausgeklügelten Versicherungslösung muss man aber auch bedenken, wer den eigentlich als Versicherungsgeber auftritt. Auf dem Papier ist dies natürlich der EFSF, die Gelder müssen jedoch von den einzelnen Staaten der Eurozone aufgebracht werden. Je mehr Staaten durch den Markt aus dieser Solidargemeinschaft herausgebrochen werden, desto schwerer wiegt das Gewicht der Finanzierung auf den Schultern der verbleibenden Stützen. Auch wenn Frankreich vielleicht nicht von heute auf morgen sein AAA-Rating verlieren wird, ist dies meines Erachtens nur eine Frage der Zeit bis dies geschehen wird, Sei es offiziell, indem die dominierenden Ratingagenturen den Daumen senken, sei es faktisch, indem Frankreich am Markt für seine Staatsanleihen höhere Zinsen zahlen muss. Wenn dies geschieht, ist zu erwarten, dass auch die Finanzierungskosten des EFSF steigen und das Kartenhaus in sich zusammenfällt.
Die Investoren
Interessant ist auch die Frage, wer denn eigentlich diese versicherten Anleihen kaufen soll. Da die Staaten beschlossen haben, ihre Banken falls notwendig mit Geldern des EFSF zu rekapitalisieren, erscheint es schon etwas verwegen, diese Banken dann wieder als potentielle Käufer von Anleihen ins Spiel zu bringen. Das Modell würde dann eher an eine Graphik von M. C. Escher denn an eine geradlinige Strategie erinnern.
Neben den Banken kämen natürlich auch noch Versicherungen oder sonstige Privatanleger in Frage. Aber wer auch immer in Zukunft Staatsanleihen von schwächeren Euroländern zeichnen wird, sollte sich des gestrigen Gipfels erinnern, auf dem die privaten Investoren zu später Stunde gezwungen wurden, freiwillig auf 50% ihrer Forderungen zu verzichten. Versicherungslösung hin oder her. Wer garantiert den Anlegern denn, dass sie ungeschoren davon kommen werden, wenn es wirklich hart auf hart kommt. Könnten sie nicht auch überredet werden, auf ihre Forderungen zu verzichten und Verluste hinzunehmen?
Ausländische Staatsfonds werden auch noch gerne als potentielle Geldgeber gehandelt, halten sich aber bisher bedeckt. Zwar haben viele Staatsfonds genug Mittel, die sie investieren könnten, allerdings muss man sich bewusst sein, dass damit die gegenseitige Anhängigkeit steigt, was nicht immer gewollt wird. Gefangen in einer monetären Schicksalsgemeinschaft, wird es besonders für Schuldnerländer immer schwerer ihre Souveränität zu wahren und durchzusetzen.
Die Euroländer
Im Großen und Ganzen haben die Euroländer genau dasselbe gemacht wie 2010: Sie haben Zeit gekauft, setzen sich nun abwartend in die Ecke, drücken die Daumen und hoffen, dass alles gut gehen wird. Vielleicht geht es ja eine Zeitlang wirklich gut und die Situation entspannt sich temporär. Das wäre natürlich wieder ein besonders guter Grund, die Neuordnung der Finanzmärkte zu verwässern, aufzuschieben und letztendlich in die Schublade zu legen. Allerdings glaube ich nicht an eine langfristige „Normalisierung“ der Märkte und zwar aus dem einfachen Grund, dass die so bezeichnete „Normalisierung“ alles andere als normal ist. Die Länder der Eurozone, wie viele andere auch, leben weit über ihren Verhältnissen. Schulden werden gemacht, um Zinsen zu bezahlen und Konsum zu rechtfertigen, denn man sich nicht erarbeitet hat. Für Politiker ist es immer noch zu einfach, in die Taschen der noch unbekleideten Nachfolgegenerationen zu greifen, um sich einen Wahlerfolg zu erkaufen. Es zeugt daher auch von einiger Chuzpe, wenn vor allem die Ex-politiker, welche die jetzige Situation zu verschulden haben, nach Abschluss ihrer Karriere und Sicherung ihrer Altersversorgung in zunehmendem Maße die Boulevardpresse und die Talkshows bevölkern und sich als ernsthafte Mahner gerieren.
Erst der Markt als Korrektiv macht es den Politikern und auch den Wählern bewusst, dass man eigentlich nur verteilen kann was man auch hat. In diesen Zusammenhang ist es auch müßig auf die Unterschiede der einzelnen Länder weiter einzugehen, da auch der Primus der Eurozone, Deutschland, es wieder nicht geschafft hat während eines Wirtschaftsbooms mit sprudelnden Steuereinnahmen ohne neue Schulden auszukommen. Wenn wir uns heute die Bilder aus Athen ansehen und selbstgefällig dozieren, dass die Griechen härter arbeiten und sich einschränken müssen, sollten wir uns immer daran erinnern, dass der Fernseher in welchem wir die Bilder sehen nicht von uns sondern von unseren Enkeln bezahlt wird.